Salomons Homepage: Auf dem Weg zur Einheit des Wissens

Auf dem Weg zur Einheit des Wissens
Die Evolution der Evolutionstheorie und die Gefahren von Biologismus und Kulturismus

Michael Schmidt-Salomon
Auf dem Weg zur Einheit des Wissens
Die Evolution der Evolutionstheorie und die Gefahren von Biologismus und Kulturismus
Schriftenreihe der Giordano-Bruno-Stiftung, Bd. 1
44 Seiten, geheftet, Euro 5.-
Alibri 2007, ISBN 3-86569-200-1

Buch bei denkladen.de bestellen

"Unter der Perspektive des „vernetzten Wissen“ wird deutlich, dass Biologismus und Kulturismus einander verstärkende Wahrnehmungsverzerrungen sind. Beide leiden unter dem gleichen Defizit, nämlich einer weitgehenden Ignoranz gegenüber der unaufhebbaren Verwobenheit von Natur und Kultur."

Schmidt-Salomon skizziert in seinem Essay die Geschichte der Evolutionstheorie vom frühen Lamarckismus hin zur modernen Soziobiologie und zeigt auf, dass diese Entwicklung prinzipiell den Weg zu einer „Einheit des Wissens“ geebnet hat. Allerdings: Damit der angestrebte „transdisziplinäre Brückenbau“ gelingen kann, müssen „biologistische und kulturistische Sackgassen“ gemieden werden. Wichtig ist dabei vor allem die Überwindung „naturalistischer“ sowie „kulturistischer Fehlschlüsse“, deren verheerende theoretische wie praktische Konsequenzen (Sozialdarwinismus, Rassismus, „DNA-Fundamentalismus“, Kollektivismus, Dogmatismus etc.) nicht unterschätzt werden sollten.

Auszug aus dem 3. Kapitel "Jenseits von Biologismus und Kulturismus"

In der Tat scheint die Zeit gekommen zu sein, in der es möglich sein sollte, den tiefen Graben zu überwinden, der zwischen den Naturwissenschaften einerseits und den Geistes- und Sozialwissenschaften andererseits entstanden ist. Durch die in den letzten Jahren vorangetriebene wissenschaftliche Entzauberung des Körper-Geist-Dualismus ist die entscheidende Barriere, die die Vereinheitlichung des Wissens traditionell behinderte, bereits aus dem Weg geräumt. Was nun ansteht (und was beispielsweise auf dem Gebiet der Hirn- und Bewusstseinsforschung schon heute vorbildlich praktiziert wird), ist der Versuch eines gemeinsamen Brückenbaus über den Graben hinweg, an dem sich nicht nur Naturwissenschaftler, sondern auch Sozial- und Geisteswissenschaftler mit ihrem jeweils spezifischen Know-how beteiligen sollten.

Ich bin überzeugt, dass dieser interdisziplinäre Brückenbau gelingen kann, wenn wir uns künftig weder von biologistischen noch von kulturistischen Engführungen der Argumentation leiten lassen. Da ich im letzten Teil meiner Ausführungen bereits auf den „Biologismus“ eingegangen bin (1), will ich mich nachfolgend kurz mit dem oftmals verdrängten Phänomen des „Kulturismus“ beschäftigen.

• Ich fasse unter dem Begriff „theoretischer Kulturismus“ all jene Weltdeutungsmuster, die menschliche Verhaltensweisen oder gesellschaftliche Zusammenhänge wesentlich über kulturelle Faktoren zu erklären versuchen, ohne dabei die fundamentalen biologischen Gesetzmäßigkeiten (die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie, der Genetik und Hirnforschung etc.) in angemessener Weise zu berücksichtigen.

• Der „normative Kulturismus“ zeichnet sich dadurch aus, dass er aus solchen kulturistischen Interpretationen politische Sollenssätze ableitet. Normativ kulturistisch sind beispielsweise gesellschaftspolitische Programme, die den Menschen (als Spezies wie als Individuum) als „beliebig formbar“ begreifen (also die biologischen Eigenarten unserer Spezies und auch die biologischen Unterschiede zwischen den Individuen, etwa unterschiedliche Begabungen, unzulässig ausblenden). Normativer Kulturismus zeigt sich auch in der diffamierenden Abwehr gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen, die dem vorherrschenden weltanschaulichen Ideologiesystem widersprechen. (Beispiele für diese Denkungsart des „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“ sind u.a. die Ablehnung des kopernikanischen Weltbildes oder der Evolutionstheorie durch die Offenbarungsreligionen oder die zeitweise Verbannung der Relativitätstheorie aus dem Kanon der marxistisch-leninistischen Wissenschaften.)

Wenn der „naturalistische Fehlschluss“ mit gutem Recht als unzulässig kritisiert wird, so muss man das Gleiche auch im Falle des „kulturistischen Fehlschlusses“ tun. Schließlich sind beide Fehlschlüsse hochgradig miteinander verwandt, ihr Unterschied liegt allein in der Umkehrung der logischen Fehlleistung: Besteht der „naturalistische Fehlschluss“ darin, dass aus einem (unterstellten) „Sein“ ein „Sollen“ abgeleitet wird, so wird im Falle des „kulturistischen Fehlschlusses“ aus einem „Sollen“ abgeleitet, was als adäquate Beschreibung des „Seins“ zu gelten hat.

Naturalistischer Fehlschluss:
Sein -> Sollen
„Was (empirisch) ist, soll auch (normativ) sein!“
„Was nicht (empirisch) ist, darf auch (normativ) nicht sein!“

Kulturistischer Fehlschluss:
Sollen -> Sein
„Es kann nicht (empirisch) sein, was (normativ) nicht sein darf!“
„Es muss (empirisch) sein, was (normativ) sein soll!“

Kulturistische Fehlschlüsse haben die Naturwissenschaften durch ihre ganze Geschichte hindurch begleitet. Traurigerweise sind sie längst nicht ausgestorben, sondern feiern gerade gegenwärtig eine große Renaissance. So werden etwa Soziobiologen dafür angegriffen, dass sie „Vergewaltigung“ und „Kindstötung“ als genetisch eigennützige, evolutionäre Überlebensstrategien beschreiben. Dass die Forscher mit derartigen Analysen keineswegs Vergewaltigung und Kindstötung ethisch legitimieren wollen, übersehen Kulturisten ebenso gerne wie die Tatsache, dass gerade durch die Aufdeckung solcher biologischer Grundmuster die Chancen steigen, dass wir wirksamere kulturelle Gegenmaßnahmen ergreifen können, um derartig unerw ünschte Verhaltensweisen einzudämmen.

(...)

Pointiert formuliert: Biologismus ist Ausdruck „schlechter Biologie“. Wer biologistisch argumentiert, der argumentiert nur unvollkommen biologisch, da er verkennt, dass kulturelle Faktoren erwiesenermaßen (epigenetische Prozesse!) eine ungeheure Bedeutung für die Funktionsweise des menschlichen Organismus haben. Im Falle des Kulturismus verhält es sich ganz ähnlich: Eine sozial- oder geisteswissenschaftliche Beschreibung menschlicher Eigenschaften oder Aktivitäten, die deren biologische Fundamente ignoriert, ist Ausdruck schlechter Sozial- oder Geisteswissenschaft. Wer kulturistisch argumentiert, kommt am Ende zu falschen Schlüssen, da er verkennt, dass die menschliche Kultur nichts weiter ist als eine spezifische Ausdrucksform der Natur.
Unter der Perspektive des „vernetzten Wissen“ wird deutlich, dass Biologismus und Kulturismus einander verstärkende Wahrnehmungsverzerrungen sind. Beide leiden unter dem gleichen Defizit, nämlich einer weitgehenden Ignoranz gegenüber der unaufhebbaren Verwobenheit von Natur und Kultur.


(1) Hier die Biologismus-Definitionen aus dem 2. Kapitel der Schrift:

• Der Begriff „theoretischer Biologismus“ kennzeichnet all jene Weltdeutungsmuster, die menschliche Verhaltensweisen oder gesellschaftliche Zusammenhänge wesentlich über biologische Gesetzmäßigkeiten zu erklären versuchen, ohne dabei die Besonderheiten der menschlichen Spezies (insbesondere die Bedeutung kultureller Faktoren) in angemessener Weise zu berücksichtigen.

• In Abgrenzung dazu umfasst der Begriff „normativer Biologismus“ all jene Ideologien, die aus der Beschreibung biologischer Ist-Zustände unreflektiert moralische und/oder politische Sollenssätze ableiten. Diese unreflektierte Ableitung des Sein-Sollenden aus dem Seienden wurde in der philosophischen Debatte zu Recht als „naturalistischer Fehlschluss“ kritisiert.

Diese Definitionen werden im Buch anhand der Beispiele Sozialdarwinismus, Rassismus und Eugenik ("DNA-Fundamentalismus") erläutert.

 

 

 

home.gif (20220 Byte)